Wut 

 

 

 

 

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Peter Thiel - Systemischer Berater und Therapeut (DGSF

14.12.2016

 

 

 

 

Schlüsselwörter:  

Aggression, Ärger, Demütigung, Eskalation, Gewalt, Hass, Konflikt, Kreislauf der Gewalt, Macht, Ohnmacht, Rad der Gewalt, Unzufriedenheit, Wut, Zorn

 

 


 

 

"Wut enthält die drei Komponenten der Aggression: Zerstören, Vernichten und Initiative. Die Hitze der Wut ist die des Verlangens und der Initiative.

Im allgemeinen ist Wut eine Leidenschaft der Sympathie ...

... das Kind ist wütend auf die toten Eltern, weil sie immer noch Teil seines unerfüllten Bedürfnisses sind - es genügt ihm nicht, wenn es weiß, daß sie als Hindernisse nun aus dem Weg geräumt sind. Und das Opfer von Haß und Rache ist ein Stück von einem selbst, wird unbewußt geliebt. 

Andererseits ist es die Beimischung des Vernichtungswillen in der Wut, die ein so intensives Schuldgefühl gegen geliebte Objekte erregt, denn wir können es uns nicht leisten zu vernichten, zu nichts zu machen, wessen wir bedürfen, auch nicht, wenn es uns frustriert. So kommt es, dass anhaltende Wut in der Verlangen und Vernichtungswillen vereint sind, dazu führt, dass das Verlangen ganz unterdrückt wird, und dies ist eine häufige Ursache von Impotenz, Inversion usw."

Frederick S. Perls; Paul Goodman; Ralph F. Hefferline: “Gestalttherapie. Grundlagen“, dtv, 1979,  S. 135-36

 

 

 

 

Die einen verdrängen ihre Wut so gut es eben geht, um sie subtil an anderen auszuleben (Anthroposophen), die anderen leben ihre Wut, bis alles in Scherben fällt oder richten den letzten Schuss gegen sich selbst, weil sie keinen Ausweg mehr erkennen (Adolf Hitler, Robert Steinhäuser, Heinrich von Kleist mit seinem Michael Kohlhaas). 

 

 

1. Es zittern die morschen Knochen

Der Welt vor dem roten Krieg,

Wir haben den Schrecken gebrochen,

Für uns war's ein großer Sieg.

 

Refrain:

Wir werden weiter marschieren

Wenn alles in Scherben fällt,

Denn heute da hört uns Deutschland

Und morgen die ganze Welt.

...

Hans Baumann

 

 

 

Ob anthroposophisch, rechtsextrem oder welterrettend intendiert, in allen diesen Fällen ist die Wut riesengroß.

Ob real oder phantasiert, die Welt wird feindlich wahrgenommen und so ergibt sich die innere Erlaubnis zur geistigen Implosion, Indoktrination (Anthroposophen), physischen Explosion (Links- und Rechtsextremismus) oder die Tötung des eigenen Körpers.

 

Es geht aber zum Glück auch ohne Mord und Totschlag oder geistiger Falschheit, so etwa im Fußball: 

 

 

CHAMPIONS LEAGUE

Barcelona demütigt den FC Bayern

Von Markus Tischler

Spiel auf ein Tor: Der FC Barcelona hat dem FC Bayern eine Lehrstunde in Sachen Kombinationsfußball erteilt. Die Spanier trafen viermal und demütigten den Deutschen Meister, der mit einer neuformierten Abwehr um Keeper Hans-Jörg Butt einen schwarzen Champions-League-Abend erlebte.

...

08.04.2009

http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,618256,00.html

 

 

Schock, Trauer, Wut bei den Bayern: Nach der 0:4-Pleite in Barcelona hält Vorstandschef Rummenigge eine Wutrede, Trainer Klinsmann ist unter Druck. Nur einer freut sich: der degradierte Torhüter Rensing - er ätzt, man hätte auch zweistellig verlieren können.

 

 

RUMMENIGGES ABRECHNUNG

"Den Stolz mit Füßen getreten"

"Es war eine große Blamage": Bankettreden haben beim FC Bayern eine lange Tradition. Nach der Demütigung von Barcelona rechnete der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge mit der Mannschaft ab. Lesen Sie bei SPIEGEL ONLINE das Protokoll im Wortlaut.

"Guten Abend, meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam eine bittere Stunde heute erlebt. Ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden: Es war eine große Blamage, die wir heute Abend hier erlebt haben. Ich muss ehrlich sagen: Ich weiß nicht, was ich mehr bin - schockiert, traurig oder wütend über das, was wir heute Abend hier gesehen haben. Es war, da brauchen wir nicht drum herumreden, eine indiskutable Leistung, die wir hier abgeliefert haben, und wir haben eine Lektion bekommen. Eine Lektion, die wehgetan hat.

Ich hab unseren alten Freund Udo Lattek in der Halbzeit gesehen: Er hat geweint. Ich weiß nicht, ob es Tränen der Wut oder Tränen der Trauer waren. Aber es war signifikant für das, was wir heute Abend leider hier gesehen haben.

Ich muss mich bei allen, die dem FC Bayern nahe stehen, entschuldigen, das ist ein ganz bitterer Moment, den wir heute Abend erlebt haben. Mit dem Ergebnis, das ist klar, sind wir aus dem Wettbewerb ausgeschieden. Es gilt jetzt, in dieser Situation rational zu bleiben und die Dinge nicht zu überdrehen, vor allem keine spontanen (Pause) unsinnigen Entscheidungen zu treffen.

Wir müssen retten, was zu retten ist, das heißt: In den acht Spielen in der Bundesliga müssen wir versuchen, unsere Ziele zu erreichen. Das hört sich zwar ohne Frage an so einem ereignisreichen Abend ein bisschen phrasenhaft an, aber es geht nicht anders. Wir haben eine große Verpflichtung, wir sind ein stolzer Club, dieser Stolz ist heute Abend zum Teil - speziell in der ersten Halbzeit - mit Füßen getreten worden.

Ich kann alle nur auffordern, in den nächsten Wochen alles zu geben, sich zu zerreißen, nachdem wir im Pokal und in der Champions League unsere Ziele diesmal ohne Frage nicht erreicht haben, in der Bundesliga nun diese Chance zu wahren, die es nach wie vor gibt. Dabei möchte ich es heute Abend belassen, ich wünsche Ihnen trotz dieser schweren Stunde einen guten Appetit."

Bka

09.04.2009

http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,618279,00.html

 

 

Ob die zum Bankett Eingeladenen nach der Rede von Karl-Heinz Rummenigge noch einen guten Appetit hatten, erscheint unwahrscheinlich, denn ein Wutausbruch ist auf keinen Fall ein Appetitanreger.

 

 

Unzufriedenheit, Ärger und Wut und Hass kann man - in Analogie an die Aggregatzustände in der Physik - als vier ineinander übergehende Aggregatzustände betrachten. In der Physik kennen wir die Aggregatzustände fest, flüssig und gasförmig. Als vierten Aggregatzustand kann man das Plasma bezeichnen, einen Zustand, den man bei extrem hohen Temperaturen z.B. auf der Sonne oder in einem Kernreaktor vorfindet.

Hass kann man sich als eine Art eingefrorener Wut vorstellen.

 

Benutzt man zur Erläuterung ein soziologisches Eskalationsmodell, so kann man auch von vier aufeinanderfolgenden Eskalationsstufen sprechen, so etwa das von Friedrich Glasl vorgestellte Eskalationsmodell:

 

1. Verhärtung: Die Standpunkte verhärten sich und prallen aufeinander. Das Bewußtsein bevorstehender Spannungen führt zu Verkrampfungen. Trotzdem besteht noch die Überzeugung, daß die Spannungen durch Gespräche lösbar sind. Noch keine starren Parteien oder Lager.

2. Debatte: Es findet eine Polarisation im Denken, Fühlen und Wollen statt. Es entsteht ein Schwarz-Weiß-Denken und eine Sichtweise von Überlegenheit und Unterlegenheit.

3. Aktionen: Die Überzeugung, daß "Reden nichts mehr hilft", gewinnt an Bedeutung und man verfolgt eine Strategie der vollendeten Tatsachen. Die Empathie mit dem "anderen" geht verloren, die Gefahr von Fehlinterpretationen wächst.

4. Images/Koalitionen: Die "Gerüchte-Küche" kocht, Stereotypen und Klischees werden aufgebaut. Die Parteien manövrieren sich gegenseitig in negative Rollen und bekämpfen sich. Es findet eine Werbung um Anhänger statt.

5. Gesichtsverlust: Es kommt zu öffentlichen und direkten (verbotenen) Angriffen, die auf den Gesichtsverlust des Gegners abzielen.

6. Drohstrategien: Drohungen und Gegendrohungen nehmen zu. Durch das Aufstellen von Ultimaten wird die Konflikteskalation beschleunigt.

7. Begrenzte Vernichtungsschläge: Der Gegner wird nicht mehr als Mensch gesehen. Begrenzte Vernichtungsschläge werden als "passende" Antwort durchgeführt. Umkehrung der Werte: ein relativ kleiner eigener Schaden wird bereits als Gewinn bewertet.

8. Zersplitterung: Die Zerstörung und Auflösung des feindlichen Systems wird als Ziel intensiv verfolgt.

9. Gemeinsam in den Abgrund: Es kommt zur totalen Konfrontation ohne einen Weg zurück. Die Vernichtung des Gegners zum Preis der Selbstvernichtung wird in Kauf genommen.

Vergleiche: Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräf-te und Berater. Bern / Stuttgart 1990 (2 Aufl.)

Siehe auch www.friedenspaedagogik.de/service/unter/konfli/eska_01.htm

 

 

 

 

In dem nachfolgend geschilderten Fall könnte es sich um eine solche Eskalation gehandelt haben. 

 

 

Oberderdingen

Familiendrama - Vater und Sohn tot

Ein Familiendrama in Oberderdingen (Kreis Karlsruhe) hat in der Nacht zu Sonntag zwei Menschen das Leben gekostet. Ein 42-jähriger Mann erdrosselte offenbar seinen neunjährigen Sohn und brachte sich dann selbst um.

Der Mann hatte sich nach Polizeiangaben in den Räumlichkeiten einer Gaststätte in Oberderdingen erhängt. Er wurde am Sonntagmorgen von seiner getrennt lebenden Frau tot aufgefunden. Wenig später fand die Frau den gemeinsamen neunjährigen Sohn erdrosselt in der Wohnung.

Die Ermittlungsbehörden gehen von einer Verzweiflungstat des Mannes aus, wonach er zunächst seinen Sohn tötete und dann freiwillig aus dem Leben schied. Er hatte das Lokal gemeinsam mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau gepachtet.

15.06.2008

http://www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=3621930/51yav3/index.html

 

 

 

Die Tötung des eigenen Sohnes durch den Vater könnte hier als symbolische Tötung der ehemaligen Partnerin und Mutter des Sohnes verstanden werden. Statt die Mutter zu töten, was dem Mann nur ein einziges Mal möglich wäre und ihm daher nicht ausreicht, tötet er den Sohn, um so seine ehemalige Partnerin lebenslang zu bestrafen. Die symbolische Vernichtung seiner ehemaligen Frau ist es dem narzisstisch fixierten Mann wert, den eigenen Sohn zu töten.

 

 

 

 

Wut

Wut ist, so wie Unzufriedenheit und Ärger ein Gefühl und kann gleichzeitig als eine aufgespeicherte emotionale Energie betrachtet werden, deren Sprengkraft weit größer als die von Ärger ist. Wenn man sagt, jemand will seinem Ärger Luft verschaffen, so wirkt dies bei weitem nicht so bedrohlich, als wenn jemand erklärt, er wird gleich wütend. 

Da die Menschen durch die Erziehung gelernt haben, ihren Ärger retroreflexiv - wie die Gestalttherapeuten sagen - zu kontrollieren und ihrer Wut keinen freien Lauf zu lassen, werden Menschen oft krank. Denn Krankheit heißt nichts anderes, dass sich Körper und Psyche in einer massiven Disharmonie befinden. Kein Wunder, dass die Menschen in Deutschland so viele Krebserkrankungen haben oder - so wie in Sachsen - die Wutpartei NPD wählen (Juni 2008), die bei den frustrierten Wählerinnen und Wählern recht ehrlich mit dem Slogan wirbt: "Die Bürgerwut in den Kreistag tragen." 

 

 

Wahlkampf in Delitzsch und ganz Nordsachsen auf Hochtouren

5. Juni 2008

Der Wahlkampf zur bevorstehenden Kreistagswahl in Nordsachsen läuft erfolgreich in die letzte Runde. Nachdem die NPD und Freie Kräfte Nordsachsen gemeinsam in einer offenen nationalen Liste zur Wahl in den neuen Kreistag angetreten sind, ist die Zusammenarbeit beider Kräfte sowie die Resonanz beim Bürger als äußerst erfolgversprechend zu beurteilen.

Bei unzähligen Infotischen und Informationsveranstaltungen spürten die Aktivisten der NPD sowie Freie Kräfte deutlich den Unmut und die Wut der Wähler auf die kriminellen Ausbeutungsaktionen der herrschenden Politkaste. „Die Bürgerwut in den Kreistag tragen“ ist auf tausenden Wahlplakaten der NPD zu lesen und genau dies muss am kommenden Sonntag, den 8. Juni passieren. Mit jeder Stimme für die einzig wahre Opposition wird dem Parteienkartell eine Abfuhr erteilt und sie können nicht mehr ungestört von außen unter sich walten und schalten. Es bringt keinem Bürger und keiner Bürgerin etwas, wenn nur „gemeckert“ aber nicht gehandelt wird. Wir Freien Kräfte mit Maik Scheffler als Kreistags-Kandidat und der NPD in ganz Nordsachsen tragen für Sie die Kritik und die Wut über die unzumutbaren Umstände in unserem Landkreis in den Kreistag.

...

 

worldwideweb.widerstand.info/meldungen/2533.html

 

Die Verlinkung dieser Seite haben wir bewusst unterlassen, wir müssen ja nicht dabei helfen, den NPD-lern eine gute Positionierung in den Suchmaschinen zu verschaffen. Wer sich die Internetseite ansehen will, gibt einfach statt des Bindestrichs ein w ein.

 

 

 

 

Die etablierten Parteien machen es sich oft recht einfach, den relativen Erfolg der Neonazis mit der Bemerkung abzutun, hier würden nur braune Dumpfbacken ihr Unwesen treiben. Die Wut der Menschen hat aber auch mit den unwürdigen Umständen zu tun, mit denen der von den etablierten Parteien gehätschelte und verwöhnte bürokratische Staatsapparat die Menschen kujoniert. Ist dieser Staatsapparat aber - so wie 1933 von den Nationalsozialisten - von den Neonazis heutigen Zuschnitts übernommen, wird dieser in keiner Weise bürgerfreundlicher, sondern als wichtiger Teil des braunen Terrorregimes funktionalisiert. Die Wut ist dann natürlich immer noch da und wird - wie bei den Neonazis üblich auf Sündenböcke (Ausländer, politische Gegner oder den "Kriegsgegner" projiziert und ausagiert.

 

Wut wird - auch auf Grund der bei einer unkontrollierten Entladung oft verheerenden Auswirkungen - häufig Regel als negatives Gefühl angesehen, dessen es sich nach Möglichkeit zu entledigen gälte und wenn das schon nicht geht, soll es wenigstens unter Kontrolle gebracht werden. In zivilisierten Ländern wird das auch meistens so gehandhabt, wenngleich sich auch hier die Wut gelegentlich explosionsartig entlädt, sei es relativ harmlos, in dem man seine eigene Wohnung im Vollrausch zertrümmert oder sei es destruktiv nach gewandt, mitten in Europa im Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien mit schließlich über 200.000 toten Männern, Frauen, Jungen und Mädchen oder sei es bei Amokläufern wie dem Erfurter Robert Steinhäuser, der 16 Menschen ermordet. Hinterher stehen dann alle ganz fassungslos da und meinen, sie wüssten gar nicht wie so etwas in einem zivilisierten Land geschehen kann. Dabei zeigt der Fall des Robert Steinhäuser, dass man sich eigentlich eher wundern muss, dass trotz der großen Wut, die vielerorts herrscht, vergleichsweise wenig Wutreaktionen zu bemerken sind.  

Meldungen wie die folgende, kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe, können einen dann nicht mehr allzu sehr überraschen:

 

"Blondine erstach ihren Mann beim Advents-Kaffee

Als sie seine Fahne roch, griff sie zum Tortenmesser

Hellersdorf - die Bluttat in der Maxie-Wander-Straße in Hellersdorf vom Sonntag nachmittag ... ist aufgeklärt. Blondine Marina Y. (25) war es, die ihren Lebensgefährten Alexander S. (25) mit einem Messer tötete - weil der Mann zu spät und angetrunken zum Kaffee kam.

Das Paar hatte am Sonntag Freunde zum gemütlichen Advents-Kaffee eingeladen. Die Gäste waren da, Kaffee und Kuchen im Wohnzimmer aufgetischt. Die beiden gemeinsamen Kinder spielten mit den Kindern der Freunde auf dem Teppich. Nur Vater Alexander war noch unterwegs. Seine Lebensgefährtin wurde ungeduldig. 

...

Um 15 Uhr klapperte der Schlüssel in der Wohnungstür. Marina ging ihrem Lebensgefährten entgegen, stellte ihn in der Küche zur Rede. Dann merkte sie, daß er angetrunken ist. 

Darüber kam es zu einem heftigen Streit zwischen den beiden. Schliesslich griff die Frau zu dem Messer, mit dem sie zuvor die Torte aufgeschnitten hatte. Sie bedrohte Alexander S., ging mit dem Messer in der Hand ihres ausgestreckten Armes auf ihn zu. Marina Y. stieß ihrem Mann das Messer in die Brust ´Ich wollte ihn doch nur erschrecken`, sagte sie später bei der Vernehmung.

Der schwerverletzte Alexander S. versuchte zu fliehen, schleppte sich noch bis zur Wohnungstür. Im Flur aber brach er blutend zusammen. Die Freunde alarmierten die Feuerwehr. Der Notarzt versuchte vergeblich, den Mann zu reanimieren.

Polizisten brachten die Kinder über den Balkon der 2-Zimmer-Wohung ins Freie. Damit sie nicht an der Leiche ihres Vaters im Flur vorbei mußten. Das Mädchen und der Junge sind zunächst bei ihrer Großmutter untergekommen.

Noch am Sonntag wurde Marina von der Polizei festgenommen. Sie hat ihre Tat gestanden. Gestern Nachmittag erließ ein Bereitschaftsrichter Haftbefehl wegen Totschlags."

"BZ", 29.11.2005, S. 8

 

 

 


 

 

Wut auf Schaben

Ein Alkoholkranker gestand, die Mülldeponie in Bernau mit dem Feuerzeug angezündet zu haben

Katrin Bischoff

BERNAU. Er trank eine große Flasche Schnaps leer, dann stieg er auf sein Fahrrad. Kurz vor Mitternacht hielt der 47-jährige Uwe N. ein Einweg-Feuerzeug an einen Plastiksack mit Müll und entfachte so in Bernau (Barnim) einen der größten Deponiebrände in Brandenburg, dessen Rauchschwaden bis Berlin zogen. Am Dienstag legte der Invalidenrentner bei der Polizei ein umfassendes Geständnis ab. Von einem Haftbefehl bleibt der alkoholkranke Mann jedoch verschont.

"Er war zunächst nur ein Zeuge", sagte Axel Hetke, Erster Kriminalhauptkommissar in Eberswalde, am Donnerstag. Hetke leitete die Brand-Ermittlungsgruppe mit Spezialisten aus Bernau und Eberswalde. Uwe N. habe in der Nacht vom 9. zum 10. September als Schaulustiger bei den Feuerlöscharbeiten an der von der Firma Geab betriebenen Deponie zugesehen. "Und wie in solchen Fällen üblich, haben wir von allen Schaulustigen zunächst die Personalien aufgenommen und sie dann zu einem Gespräch eingeladen", sagte Hetke.

Keine Erinnerung an die Uhrzeit

Schon bei seiner ersten Vernehmung habe sich Uwe N. in Widersprüche verwickelt. "Er gab an, dass er in jener Nacht vom hellen Schein des Feuers angelockt worden wäre. Doch er hat auch Dinge erzählt, die vor dem Brand geschehen sind", sagte Hetke. Am Dienstag sei Uwe N. dann zu einer zweiten Vernehmung zur Polizei bestellt worden. Zu der sei der psychisch labile Mann dann zusammen mit seinem vor einiger Zeit gerichtlich bestellten Betreuer, der ihn bei Behördengängen begleitet, erschienen.

N. habe sofort zugegeben, das Feuer gelegt zu haben. In seiner 90 Minuten dauernden Aussage habe er angegeben, täglich von der Schabenplage gelesen zu haben, die von der Mülldeponie ausgegangen sein soll. Das habe ihn in Wut versetzt. "Er ist zwar selbst kein Betroffener, seine Wohnung liegt ungefähr einen Kilometer von dem von Schaben geplagten Gebiet entfernt", sagte der Kripo-Beamte. Doch an jenem Abend habe Uwe N. zu Hause gesessen, getrunken und sei dann wie getrieben aufs Rad gestiegen. "Die genauen Uhrzeiten bekam der Mann wegen seines Alkoholkonsums nicht mehr zusammen", sagte Hetke. Doch es bestehe kein Zweifel, dass Uwe N. den Brand gelegt habe.

Gegen den 47-jährigen gelernten Kabelhersteller wurde jedoch kein Haftbefehl beantragt. "Wir gehen zwar von einem dringenden Tatverdacht aus", sagte Michael Neff, der Sprecher der Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder). Doch es gebe keinen Haftgrund. Der Mann habe einen festen Wohnsitz. Er werde betreut. "Es gibt aus unserer Sicht auch keine Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr", sagte Neff. Uwe N. müsse mit einer Anklage wegen Brandstiftung rechnen.

Auf der Deponie am Rande von Bernau war ein 30 000 Quadratmeter großer Müllberg in Flammen aufgegangen, die Rauchschwaden führten sogar in Berlin zu starken Geruchsbelästigungen. Die Feuerwehr war tagelang im Einsatz, um die Flammen zu löschen. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Betreiber doppelt so viel Müll wie erlaubt auf dem Gelände deponierte. Das Landesumweltamt untersagte daraufhin den Betrieb der Anlage. "Wir werden nunmehr mit der Geab einen öffentlich-rechtlichen Vertrag abschließen und liegen dabei in den letzten Zügen", sagte Helmut Geisler vom Landesumweltamt. Der Vertrag beinhalte auch, dass der zu viel angehäufte Müll abgefahren werden muss. "Und zwar ziemlich schnell", sagte Geisler.

Kosten von 300 000 Euro

Unklar ist bis heute, wer die Kosten für die Brandbekämpfung übernehmen muss. Der Tatverdächtige Uwe N. werde bei einer Verurteilung wohl kaum in Regress genommen werden können, hieß es am Donnerstag. "Es gibt eine eindeutige Rechtsauffassung. Bei einem so genannten Großschadensereignis wie in diesem Fall muss der Landkreis die Kosten übernehmen", sagte Wolfgang Brandt, der Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums. Nur wenn das Feuer als Brand klassifiziert worden wäre, hätte die Stadt Bernau die Einsatzkosten zahlen müssen. Und die liegen immerhin bei 300 000 Euro. 

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/brandenburg/499466.html

 

 

 

Wenn man sieht, wie viele Männer in Deutschland nicht nur individuell, sondern auch staatlicherseits für dumm und minderwertig verkauft werden, sei es, dass man nur von ihnen die Teilnahme an Zwangsdiensten wie dem Wehr- oder Zivildienst verlangt oder der staatlich verordneten Diskriminierung von nichtverheirateten Vätern beim Sorgerecht für ihre Kinder, dann muss man sich wundern, dass es in Deutschland noch vergleichsweise friedlich zugeht - also kurz gesagt, die betroffenen Männer ihren Ärger unter Kontrolle halten oder durch billige Ablenkungen wie Alkohol oder Arbeitssucht verdrängen. Nur einmal im Jahr, aber nicht jeden Tag wie man es vermuten müsste, halten entrechtete Väter eine vergleichsweise harmlose Sitzblockade vor dem Bundesfamilienministerium am Berliner Alexanderplatz, bei dem Männer als Persona non grata geführt werden, veranstalten, um die für ministerialen Stillstand und Männerausgrenzung Verantwortlichen aus ihren ausgesessenen Sesseln in eine konstruktive Bewegung zu bringen. In anderen Zeiten war man da wesentlich rabiater. Dabei gab es schon Zeiten, wo sich der Unmut der Menschen zu Recht, wie wir heute sagen, auch auf drastische Weise seinen Weg bahnte. Man denke nur an solche historischen kollektiven Wutausbrüche wie den Prager Fenstersturz, bei der am 23. Mai 1618 Teilnehmer eines Protestantentages 2 kaiserliche Staathalter aus Protest gegen das Verbot der Versammlung aus dem Hradschin in den Burggraben warfen. Zugegebener Maßen, erscheint das heute nicht sehr fein und die Ausführenden müssten sich heute sicher wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Staatsanwalt verantworten, der als Vertreter des Staates auf die Einhaltung des Gewaltmonopols des Staates achten soll.

Wut kann ein nützliche Energie für konstruktive Veränderungen sein. So sehen wir häufig wie phlegmatisch und abgestumpft und auch selbstherrlich Mitarbeiter/innen in staatlichen Behörden mit Menschen umgehen, sei es am Bundesverfassungsgericht wo jedes Jahr einige Tausend, Verfassungsbeschwerde führende Menschen von den höchsten Richtern unseres Landes mit dem unverschämten und einem Bundesrichter unwürdigen Satz: Die eingereichte Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, abgewatscht werden oder sei es in den verschiedensten Ämtern, wo von den Bürger/innen eingereichte Dienstaufsichtsbeschwerden von dienstaufsichtsführenden Vorgesetzten auch aus Gründen eines in den Ämtern gepflegten unheilvollen Korpsgeistes, überhaupt nicht ernst genommen werden und in keiner Weise zu erkennen ist, dass sich die Behördenmitarbeiter/innen sich für das Anliegen der Bürger interessieren.

 

 

Wir haben gegenwärtig in Amerika eine Verbindung von beispiellosem allgemeinem Wohlstand und beispielloser öffentlicher Ruhe und Ordnung. Ökonomisch wie soziologisch kommt beides einander zugute: je mehr Ordnung, desto mehr Produktivität, und je mehr Wohlstand, desto weniger Anreize, die Ordnung zu stören. Mit öffentlicher Ordnung meinen wir nicht eine geringere Zahl von Gewaltverbrechen, sondern die allgegenwärtige Sicherheit in Stadt und Land. Im Vergleich zu allen anderen Orten und Zeiten ist Reisen gefahrlos, überall, ob bei Tag oder Nacht. Es gibt kaum Schlägereien, Aufruhr oder bewaffnete Banden. Keine Verrückten laufen auf den Straßen Amok, es gibt keine Seuchen. Krankheiten werden in den Hospitälern schnell isoliert, den Tod bekommt man nie zu Gesicht, selten die Geburt. Fleisch wird gegessen, aber kein Stadtbewohner sieht je, wie ein Tier geschlachtet wird. Nie zuvor hat es je einen solchen Zustand der Gewaltlosigkeit, Sicherheit und Sterilität gegeben. Was unseren Wohlstand angeht, so berührt keine der noch strittigen ökonomischen Fragen das Lebensnotwendige. Die Gewerkschaften fordern nicht Brot, sondern bessere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und mehr Sicherheit; die Kapitalbesitzer fordern weniger staatliche Kontrolle und bessere Reinvestitionsbedingungen. Ein Einzelfall von Verhungern macht Skandal in der Presse. Weniger als zehn Prozent des Wirtschaftsertrags werden für die Grundversorgung mit Lebensnotwendigem verausgabt. Es gibt mehr Annehmlichkeiten, Luxus und Unterhaltung als je zuvor in der Geschichte.

Psychologisch ist das Bild zweifelhafter. Es gibt kaum überlebensgefährdende psychische Frustrationen, aber auch kaum Befriedigung, und es gibt Zeichen von nackter Angst. Die allgemeine Verwirrung und Unsicherheit der isolierten Individuen in einer allzu großen Gesellschaft zerstören Selbstvertrauen und Initiative, und ohne diese gibt es kein tätiges Vergnügen. Sport und Unterhaltung sind passiv und symbolisch; die Auswahl auf dem Markt ist passiv und symbolisch; es gibt nichts mehr, was die Menschen selber tun oder lassen, es sei denn symbolisch. Das Angebot au Sexualität ist reichlich, die Unempfindlichkeit extrem. Früher herrschte das Gefühl vor, Wissenschaft, Technik und neue Sitten würden ein glückseliges Zeitalter hereinbrechen lassen. Diese Hoffnung ist enttäuscht worden. Überall sind die Menschen enttäuscht.

Schon oberflächlich gesehen gibt es also Grund, die Dinge kurz und klein zu schlagen, nicht diesen oder jenen Teil des Systems zu zerstören (zum Beispiel die herrschende Klasse), sondern das Ganze en bloc, denn es verspricht nichts mehr, es hat sich in seiner bestehenden Form als unassimilierbar erwiesen.

Frederick S. Perls; Paul Goodman; Ralph F. Hefferline: “Gestalttherapie. Grundlagen“, dtv, 1979, S. 139

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Gestalt Therapy. Excitement und Growth in the Human Personality.

The Julian Press, New York 1951

 

 

 

Nicht entladene Wut führt - wie Frederick Perls aufzeigt, zu Autoaggression, Gewalt und Sadomasochismus.

Die oft vorgenommene Gleichsetzung von Wut und Destruktivität erscheint unzutreffend. Wut erscheint oft in einem destruktiven Gewand, gleichwohl kann Wut auch konstruktiv sein, nämlich dann wenn damit ein Hindernis überwunden wird und so wieder Entwicklung möglich wird. 

 

Frederick S. Perls, der Begründer der Gestalttherapie, schreibt schon 1951:

 

28. Der moderne Krieg ist Massenselbstmord ohne Schuldgefühl

Wir wollen uns nun wieder dem weiteren sozialen Kontext zuwenden und noch einiges über die für unsere Epoche charakteristische Art der Gewalttätigkeit sagen.

Wir haben gegenwärtig in Amerika eine Verbindung von beispiellosem allgemeinem Wohlstand und beispielloser öffentlicher Ruhe und Ordnung. Ökonomisch wie soziologisch kommt beides einander zugute: je mehr Ordnung, desto mehr Produktivität, und je mehr Wohlstand, desto weniger Anreize, die Ordnung zu stören. Mit öffentlicher Ordnung meinen wir nicht eine geringere Zahl von Gewaltverbrechen, sondern die allgegenwärtige Sicherheit in Stadt und Land. Im Vergleich zu allen anderen Orten und Zeiten ist Reisen gefahrlos, überall, ob bei Tag oder Nacht. Es gibt kaum Schlägereien, Aufruhr oder bewaffnete Banden. Keine Verrückten laufen auf den Straßen Amok, es gibt keine Seuchen. Krankheiten werden in den Hospitälern schnell isoliert, den Tod bekommt man nie zu Gesicht, selten die Geburt. Fleisch wird gegessen, aber kein Stadtbewohner sieht je, wie ein Tier geschlachtet wird. Nie zuvor hat es je einen solchen Zustand der Gewaltlosigkeit, Sicherheit und Sterilität gegeben. Was unseren Wohlstand angeht, so berührt keine der noch strittigen ökonomischen Fragen das Lebensnotwendige. Die Gewerkschaften fordern nicht Brot, sondern bessere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und mehr Sicherheit; die Kapitalbesitzer fordern weniger staatliche Kontrolle und bessere Reinvestitionsbedingungen. Ein Einzelfall von Verhungern macht Skandal in der Presse. Weniger als zehn Prozent des Wirtschaftsertrags werden für die Grundversorgung mit Lebensnotwendigem verausgabt. Es gibt mehr Annehmlichkeiten, Luxus und Unterhaltung als je zuvor in der Geschichte.

Psychologisch ist das Bild zweifelhafter. Es gibt kaum überlebensgefährdende psychische Frustrationen, aber auch kaum Befriedigung, und es gibt Zeichen von nackter Angst. Die allgemeine Verwirrung und Unsicherheit der isolierten Individuen in einer allzu großen Gesellschaft zerstören Selbstvertrauen und Initiative, und ohne diese gibt es kein tätiges Vergnügen. Sport und Unterhaltung sind passiv und symbolisch; die Auswahl auf dem Markt ist passiv und symbolisch; es gibt nichts mehr, was die Menschen selber tun oder lassen, es sei denn symbolisch. Das Angebot au Sexualität ist reichlich, die Unempfindlichkeit extrem. Früher herrschte das Gefühl vor, Wissenschaft, Technik und neue Sitten würden ein glückseliges Zeitalter hereinbrechen lassen. Diese Hoffnung ist enttäuscht worden. Überall sind die Menschen enttäuscht.

Schon oberflächlich gesehen gibt es also Grund, die Dinge kurz und klein zu schlagen, nicht diesen oder jenen Teil des Systems zu zerstören (zum Beispiel die herrschende Klasse), sondern das Ganze en bloc, denn es verspricht nichts mehr, es hat sich in seiner bestehenden Form als unassimilierbar erwiesen. Dieses Gefühl findet sich, in wechselnden Graden der Klarheit, sogar im Gewahrsein."

Frederick S. Perls; Ralph F. Hefferline; Paul Goodman: Gestalttherapie Grundlagen. dtv, 1979, (amerikanische Originalausgabe 1951), Sw. 139

 

 

 

 

Seit 1995 sind weltweit, oft auch mit direkter oder indirekter Beteiligung der USA, aber auch anderer Staaten Dutzende von Kriegen mit Millionen von Todesopfern geführt worden, von denen Perls zu Recht als Massenselbstmord ohne Schuldgefühl spricht. In westlich orientieren Staaten sind das Opfer, die man meint, der Freiheit eben bringen zu müssen. Der Zweck heiligt die Mittel. Wer da nun dem individuellen Amoklauf eines wütenden Mannes, oder einer wütenden Frau etwas pathologisches anhaftet, der sollte sehen, dass die westliche Gesellschaft an der gleichen Krankheit verdrängter und nicht gelebter konstruktiver Aggression leidet.

Während Perls einen konstruktiven Umgang mit Wut und Aggression anspricht, finden viele Menschen nur einen destruktiven Weg dafür, sei es der Massenmörder Adolf Hitler oder Amokläufer unserer Tage. 

 

 

Amoklauf

Südkoreanischer Student verübte Bluttat

Die US-Behörden haben die Identität des Amokläufers von der Virginia-Tech-Universität bekannt gegeben. Verantwortlich für das Massaker mit 32 Toten war demnach der 23-jährige Englisch-Student Cho Seung Hui. (17.04.2007, 16:02 Uhr)

Blacksburg - Zwei Waffen seien sichergestellt worden, sagte Polizeisprecher Wendell Flinchum. Eine ballistische Untersuchung habe ergeben, dass eine der Waffen bei beiden Schießereien am Montag benutzt worden sei, teilte der Sprecher weiter mit. Hinweise auf Komplizen gebe es nicht. Allerdings sei noch nicht zweifelsfrei erwiesen, dass Cho hinter beiden Schießereien stecke, bei denen am Montag mitsamt dem Amokläufer 33 Menschen getötet wurden.

Chos Leiche sei am Tatort gefunden worden, teilte die Polizei mit. Der Amokschütze hatte nach dem Eintreffen der Polizei Selbstmord begangen. Nach Informationen des TV-Senders ABC wurde in Chos Rucksack eine Quittung über den Kauf einer Schusswaffe gefunden. Die Motive für die Tat liegen weiter im Dunkeln.

Die Tat löste im ganzen Land und weltweit Entsetzen aus. In Virginia hingen die Flaggen auf Halbmast. Gouverneur Timothy Kaine brach eine Asienreise ab und kehrte sofort in seine Heimat zurück. US-Präsident George W. Bush zeigte sich schockiert. Bildungseinrichtungen müssten sichere Orte des Lernens sein, sagte Bush. "Wenn dieser Schutzraum verletzt wird, sind die Auswirkungen in jedem amerikanischen Klassenraum und in jeder amerikanischen Gemeinde zu spüren."

Bush wollte am Nachmittag an einer Trauerfeier in der Universität teilnehmen. Bestürzt äußerten sich unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Aus aller Welt trafen Beileidsbekundungen ein, darunter auch aus dem Iran. Die Tat widerspreche allen göttlichen und menschlichen Werten, erklärte Außenamtssprecher Mohammed Ali Hosseini in Teheran.

Bereits kurz nach der Tat wurde die Kritik an den zu lockeren Waffengesetzen der USA laut. Die "New York Times" kritisierte in einem Leitartikel, Virginia habe eines der laxesten Waffengesetze in den USA. Der australische Regierungschef Howard wies darauf hin, dass sein Land als Konsequenz aus einem blutigen Amoklauf in Port Arthur, bei dem 1996 insgesamt 35 Menschen starben, die Waffengesetze massiv verschärft habe - seitdem sei die Zahl der Opfer von Schießereien deutlich zurückgegangen. 

http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/nachrichten/amoklauf-usa-virginia/99708.asp

 

 

 

 

Der oftmals destruktive Umgang mit Wut und Aggression hat seinen Grund aber auch oft genau darin, dass die moderne Gesellschaft einen konstruktiven Umgang mit Wut tabuisiert und diffamiert. Schnell werden auch im sogenannten demokratischen Rechtsstaat aufsässige Menschen, die sich bürokratischen Strukturen und Verfilzungen widersetzen von Vertretern eben dieses Systems, wozu auch willfährige und systemkonforme Psychologen und  Sozialarbeiter zählen, als Querulanten diffamiert, psychiatrisiert und so denn möglich kaltgestellt.

Eines der relativ gut dokumentierten und von Wut wohl stark dominierten Lebens scheint das des Dichters Heinrich von Kleist zu sein. 

Kleist war zehn Jahre alt, als er den Vater verlor, 15 als seine Mutter starb. Das Verhältnis zu seinen Eltern soll von Lieblosigkeit gekennzeichnet gewesen sein.

 

Vergleiche: 

Klaus Geiger: "Der Schriftsteller Heinrich von Kleist zwischen Kreativität und Charakterpathologie", In "Recht und Psychiatrie", Heft 2, 2000, S. 62-67

 

 

Der von Klaus Geiger verwendete Begriff der Charakterpathologie führt allerdings - typisch für den antiquierten psychoanalytisch-psychiatrischen Denkansatz - in die Irre, denn er unterstellt so etwas wie einen im gültein Kontext erreichbaren Normalzustand, der angesichts früherer allgemein verbreiteter widriger Lebensumstände eine Wunschphantasie von Klaus Geiger sein dürfte. 

 

In dem Drama "Hermannschlacht" (1808), das den Sieg des Cheruskerfürsten Arminius über die Römer und die Uneinigkeit der germanischen Stämme zeigt, spiegelt sich - so Klaus Geiger - der Zorn und die Wut Kleist`s über die Herrschaft Napoleons in Preußen und Deutschland. Dies ist ist allerdings eine unbewiesene Annahme, allein schon deshalb, weil Kleist in einer früheren Periode gar mit den napoleonischen Truppen in den Krieg gegen England ziehen wollte, wofür ihm in Preußen die Todesstrafe gedroht hätte.

Viel näher liegt es, die Wut Kleist`s auf die Herrschaft Napoleons als Projektion seiner Wut auf einen äußeren Feind und als Reflex auf seine eigene Lebensgeschichte zu begreifen, die erlebte Liebeslosigkeit seiner Eltern, die sich ihrem Sohn im frühen Tod für immer entziehen. Psychoanalytisch wäre dies als das Urtrauma anzusehen, spätere Enttäuschungen und Frustrationen wären dann als eine Aktualisierung dieses Urtraumas zu verstehen.

 

Wenn wir aber näher hinsehen, unter den Aspekten, die wir eben erörtert haben, so stellen wir fest, daß diese Bedingungen fast genau diejenigen sind, welche den primären Masochismus erregen. Es findet eine dauernde Reizung statt, bei nur partieller Spannungsabfuhr, eine unerträgliche Steigerung der unbewußten Spannungen - unbewußt, weil die Menschen nicht wissen, was sie wollen, noch wie sie es erlangen können, weil die Mittel, die sich ihnen bieten, zu groß und unhandlich sind. Der Wunsch nach der letzten Befriedigung, nach dem Orgasmus, wird als Wunsch nach totaler Selbstzerstörung interpretiert. Unvermeidlich also muß es einen öffentlichen Traum von der Weltkatastrophe geben, von riesigen Explosionen, Feuern und Elektroschocks, und die Menschen bemühen sich mit vereinten Kräften, die Apokalypse Wirklichkeit werden zulassen.

Gleichzeitig jedoch wird jeder offene Ausdruck von Zerstörungslust, Vernichtungswillen, Wut und Kampfbereitschaft unterdrückt im Interesse der öffentlichen Ordnung. Schon das Gefühl des Ärgers wird zurückgehalten und verdrängt. Vernünftig, tolerant, höflich und kooperationswillig lassen die Menschen sich herumstoßen. Aber die Anlässe, sich zu ärgern, werden keinesfalls seltener. Im Gegenteil, wenn die größeren Initiativen in die Wettbewerbsroutine der Ämter, Bürokratien und Fabriken kanalisiert werden, gibt es Demütigungen, verletzte Gefühle, kleine Gemeinheiten. Der kleine Arger wächst ständig nach und wird nie abgeführt; die große Wut, welche die große Initiative begleitet, wird verdrängt.

Die Situation der Wut wird daher in die Ferne projiziert. Die Menschen müssen große, ferne Ursachen finden, die ausreichen, den Druck der Wut zu erklären, der gewiß nicht aus dem kleinen Arger kommt. Es ist notwendig, etwas zu haben, das des Hasses würdig wäre, den man unbewußt gegen sich selber spürt. Kurz, man ist wütend auf den Feind.

Frederick S. Perls; Paul Goodman; Ralph F. Hefferline: “Gestalttherapie. Grundlagen“, dtv, 1979, S. 139-140

 

 

 

Eine herbe Enttäuschung hat Kleist sicher mit dem von ihm redigierten Berliner Abendblatt erlebt, dass wegen staatlich erzwungenen Rückzugs der offiziellen Beiträge 1811 aufgegeben werden musste. Kleist soll empört den König und den Staat um Entschädigung angegangen sein (Klaus Geiger, S. 64) - grad so wie der Held seiner 1810 geschriebenen Novelle Michael Kohlhaas. In der Novelle Michael Kohlhaas beschreibt Kleist einen rechtschaffenden und harmlosen Pferdehändler, der, als er sich in seinem Rechtsgefühl verletzt fühlt, zum Räuber und Mordbrenner wird und schließlich den Tod durch Enthaupten findet. Kurz vorher wird ihm mitgeteilt, dass seiner Klage mit der er dem ihm geschehenen Unrecht begegnen wollte, stattgegeben wurde.

 

 

 

 

Selbstvergewaltigung: Voreiliges Befrieden

Nicht gelebte oder konstruktiv gewandelte Wut, führt in die  in die Krankheit oder die Zerstörung. Dabei muss Zerstörung nicht  zwangsläufig wie bei Heinrich von Kleist in die Destruktivität oder den Doppelselbstmord führen, sondern kann auch zu einer konstruktiven Veränderung des eigenen Selbst und/oder der Umwelt führen, wie das der Begründer der Gestalttherapie Fritz Perls eindrucksvoll vorgetragen hat. 

 

Nehmen wir zwei einfache Fälle zur Illustration: Ein Mann ist krank; er versucht, seinen Geschäften nachzugehen und leidet; zu der Einsicht gezwungen, daß er nun ein ganz anderes Geschäft hat, kümmert er sich um seine Krankheit, legt sich hin und wartet; das Leiden läßt nach, und er schläft ein. Oder der Tod eines geliebten Menschen: Es gibt einen traurigen Konflikt zwischen intellektuellem Hinnehmen einerseits, Wünschen und Erinnerungen andererseits. Der Durchschnittsmensch versucht sich abzulenken, wer aber mehr von sich verlangt, gehorcht dem Zeichen und gibt sich dem Leiden hin; er ruft sich die Vergangenheit zurück und sieht seine Gegenwart hoffnungslos versperrt. Er weiß nicht, was er tun soll, jetzt, da alles aus den Fugen ist; die Trauer, die Verwirrung und das Leiden dauern lange, denn so vieles muß zerstört und vernichtet und so vieles assimiliert werden, und währenddessen darf er nicht seinen unwichtigen Geschäften nachgehen und den Konflikt vorsätzlich unterdrücken. Schließlich ist die Trauerarbeit erledigt, der Mensch verändert; er nimmt nun eine Haltung schöpferischen Desinteresses ein, und alsbald werden neue Interessen vorrangig.

Frederick S. Perls; Paul Goodman; Ralph F. Hefferline: “Gestalttherapie. Grundlagen“, dtv, 1979, S. 153

 

 

Dies ist auch ein Grund, warum in Deutschland die Krankenindustrie so boomt, bis sie schließlich nicht mehr zu bezahlen ist. In dem Klassiker "Krankheit als Weg", 1983 erschienen, weisen Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke in einer sehr verständlich und einleuchtenden Form darauf hin. Die Schlachtfelder der modernen Gesellschaft sind die mit Millionenaufwand betriebenen medizinischen Operationssäle mit ihrer hochmodernen und faszinierenden Technik und den sterilen Menschen, die in ihnen arbeiten. Die Verdrängung von Wut äußert sich in Depression, rheumatischen Erkrankungen und anderen selbstverursachten sogenannten "Krankheiten". Die merkwürdig einspurigen Antworten vom schulmedizinischen Todesstern lauten: Antidepressiva und Antirheumatika. 

Ein beliebtes "Heilmittel" des Konfliktverdrängers ist auch Alkohol, der einerseits eine euphorisierende Wirkung hat, die allerdings nicht lange anhält und in der Wiederholung immer höhere Dosen verlangt und andererseits oft zu Kontrollverlust führt, bei dem schließlich die eigene Wohnung zertrümmert wird, das ist noch die günstigere Variante oder sich die nun nicht mehr kontrollierbare Wut nach Außen richtet.

Angesichts der gesellschaftlichen Relevanz des Themas Wut verwundert es wie einfallslos und konventionell die meisten gesellschaftlichen oder staatlichen Antworten auf das Thema Wut sind, ein Indiz dafür, wie "behandlungsbedürftig" Staat und Gesellschaft selbst sind. 

 

 

 

 

 

Wege des Umganges mit Wut

In modernen Gesellschaften wie in Deutschland sind ganze Herrschaaren von Menschen wie Staatsanwälte, Polizisten, Psychologen, Psychiatern damit beschäftigt mit ihren je eigenen Mitteln wie z.B. Strafverfolgung und Strafhaft, Wegweisung und Einsatzkommando, Manipulation und Schönreden, Medikamentation durch Sedativa und Psychiatrie, die Wut und die Konflikte der Menschen in der Gesellschaft in den Griff zu bekommen. Den Konflikt in angemessenen Bahnen auszutragen und damit das Rad der Gewalt oder die Eskalation des Konfliktes zu beenden gehört jedoch oft nicht zum professionellen Selbstverständnis. Dazu müssten die Professionellen ihr eigenes Verhältnis zum Thema Wut reflektiert haben, wobei sie meist erkennen würden, wie wütend sie selber sind, sei es auf die Ehefrau, den angeblich oder tatsächlich unfähigen Chef, die Tatsache der ausgebliebenen Beförderung in der Dienstposition, die Wut über belastende Arbeitsbedingungen, die Wut über wütende Klienten, die einem das Leben so schwer machen, die Wut über die eigene Tochter, die sich gerade höchst pubertär benimmt.  Wo lassen nun all diese Erwachsenen als Fachkräfte arbeitenden Menschen ihre Wut? Sie machen damit nichts anderes, als die ihnen zur Kontrolle zugewiesene Klientel. Sie lassen die Wut an geeigneten Objekten aus oder verschieben sie in den eigenen Körper, was über kurz oder lang zur psychosomatisch bedingten Krankheit führt. 

In heutigen Jugendhilfeeinrichtungen gibt es oft einen Raum, in dem eine Boxbirne oder ein Sandsack aufgehangen sind. Hier sollen insbesondere Jungen ihre Wut ablassen. Die Idee ist immerhin ein guter Anfang. Doch solche Sandsäcke und möglichst auch einen dazugehörigen Wutcoach bräuchten wir auch in den öffentlichen Verwaltungen, den Staatsanwaltschaften, den Jugendämtern und dem Jobcenter, so dass die dort Angestellten, wenn es ihnen zu bunt, wird, wenn sie die Nase voll haben, vom zehnten renitenten Kunden, in selbiges gehen können und den Sandsack schlagen können, anstatt dem renitent erscheinenden Kunden per Verwaltungsakt eins reinzuwürgen.

 

 

In einem Vortrag der Buddhistischen Klosterschule Ganden Tashi Choeling vom 21.04.2005 in Berlin heißt es: "Wut hilft niemandem - sei weise!". Das ist eine mögliche Sicht auf unser Leben, die als eine Sicht unter vielen ihre Berechtigung hat. Doch es heißt auch, nichts ist wahr ohne sein Gegenteil. Und so können wir Wut auch als eine sinnvolle Energie deuten, die dem Fluss des Lebens folgt und der Erstarrung und Gleichschaltung entgegenwirkt. 

Es heißt, dass Buddha 500 Leben gebraucht hätte, um seine Wut kontrollieren zu können. Wobei kontrollieren zu können heißt, dass Buddha diese Wut auch im 500-sten Leben nicht gelöst hatte, sondern es nur gelernt hat, sie zu kontrollieren. Ob die Kontrolle von Wut, statt des konstruktiven Umgangs mit Wut oder gar die Auflösung von Wut, nun das non plus ultra ist, sei hier bezweifelt.

Der koreanische Zen-Meister Young San Seong Do, der in einem Zen-Tempel in Berlin-Kreuzberg lehrt, meint zum Thema Ärger und Wut:

 

"Das Unglück in der modernen Welt entstehe, weil man Ärger und Wut nicht unter Kontrolle habe. Deshalb sei es die Aufgabe aller Religionen, dem Menschen beizubringen, Ärger und Wut nicht mehr zuzulassen. Im Zen-Buddhismus geschieht dies durch eine Art kontinuierliche Innenschau, die alles begleitet, was man tut – ein ständiges Bemühen darum, sich seiner selbst gewahr zu werden und negative Emotionen im Keim aufzulösen. Allerdings, sagt der Berliner Zen-Meister, habe selbst Buddha dafür 500 Leben lang üben müssen."

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/21.11.2005/2153666.asp

 

 

Das Buddha allerdings nicht 500 Mal gelebt hat, erscheint recht sicher, denn dann müsste er bei einem durchschnittlichen Lebensalter von nur 40 Jahren schon 20.000 Jahre gelebt haben. Wahrscheinlicher scheint, dass mit dem Begriff des Lebens und der Wiedergeburt, das Aufwachen am nächsten Morgen gemeint ist, das ja tatsächlich eine kleine Wiedergeburt und ein neues Leben darstellt, wobei der wir jedes mal auf neue vor die Aufgaben gestellt werden, die wir am Vortag noch nicht gelöst haben. So zu sehen auch in dem empfehlenswerten Film "Und täglich grüßt das Murmeltier".

 

 

Der Maler Bernhard Heisig meint: 

 

"Mich interessieren Konfliktsituationen und ich brauche die Reibung. Wenn ich keine Wut mehr hätte, wäre ich schon tot. Insofern bin ich dankbar über diese Wut, sie erhält mich am Leben. Es ist die Wut über die Arbeit, nicht über den Stoff. Ich bin eitel und denke, ich kann es immer noch besser machen. Später merke ich dann. Hätte ich doch früher aufgehört. Der Malprozess ist ein ständiges Hin und Her. Wenn es nicht klappt, bin ich wütend und manchmal verzweifelt, aber wenn es klappt, gibt es nichts, was daran heranreicht. Das ist dann das Glück. Aber das ist selten."

Bernhard Heisig, Maler, 80 Jahre, in einem Interview für den Berliner Tagesspiegel, 21.10.2005, S. 25

 

 

Heisig meint, er bräuchte zum Arbeiten Wut, sonst wäre er schon tot. Möglicherweise stimmt das sogar, aber es fragt sich, warum Heisig nicht leben könnte, wenn er keine Wut mehr hätte? Vielleicht würde er dann in einem so starken Gefühl der Bedrohung leben, dass ihn gleichsam überschwemmen würde. Verwunderlich wäre das nicht, denn Heisig war als junger Mann Soldat und es liegt nahe, dass er da nicht nur Skat gespielt hat, sondern auch Opfer oder auch Täter der Todesmaschinerie gewesen ist.

 

Wieder andere malen nicht, sondern schreiben:

 

 

21.11.2005

Ein Leben als Verbannter

Mit 27 nach Sibirien verschleppt, mit 81 entlassen – Julius Wolfenhaut hat ein Buch über sich und Stalins Judendeportationen verfasst

Von Constanze von Bullion

Diesen Zorn muss man sich vorstellen wie einen Schwelbrand. Er glimmt auf dem Schreibtisch und zwischen Buchdeckeln im Regal, in sorgsam sortierten Ordnern und in jedem Winkel der Wohnung. Manchmal erlischt er, zumindest für ein paar Tage, nur um plötzlich wieder aufzuflackern und sich weiterzufressen. „Es brennt in meinem Herzen“, sagt Julius Wolfenhaut, und dann guckt er, als wollte er irgendwas zerstören.

Dabei ist er eigentlich ein ausgesprochen liebenswürdiger Zeitgenosse, dieser lebhafte kleine Herr, der reden kann wie ein orientalischer Märchenerzähler, mit fliegenden Händen und diesem scharfen Blick auf eine Welt, von der bald niemand mehr wird berichten können. Julius Wolfenhaut stammt aus der Bukowina, er ist deutschsprachiger Jude, er hat die längste Zeit seines Lebens in sowjetischer Verbannung verbracht und ist jetzt 91 Jahre alt. „Zeit abzureisen“, sagt er und zwinkert vergnügt, denn natürlich will er noch lange nicht los.

Wolfenhaut hat eine Mission, und die erfüllt er im Parterre eines Regensburger Mietshauses, in einer Wohnung, die er mit seiner Frau teilt und ein paar spartanischen Möbeln. Zwischen Schrank und Bett hat er den Schreibtisch geklemmt, neben das Allerheiligste, die verwitterten Fotos seiner Eltern. Für sie hat er hier gesessen und geschrieben, hat noch mal diesen Albtraum durchlebt, der nun als Fischer-Buch erschienen ist. „Nach Sibirien verbannt“ heißt der Alptraum des Julius Wolfenhaut. Es ist ein Buch, das man so schnell nicht vergisst.

Erzählt wird da die Geschichte eines Mannes, dem Stalins Handlanger das Leben gestohlen haben. Es ist die Geschichte einer Judenverfolgung, von der die Welt lange nichts wissen wollte – und die Geschichte einer Rettung, die Julius Wolfenhaut teuer zu stehen kam.

„Ich war siebenundzwanzig, lebensfroh und voll stolzer Zukunftspläne, als das bolschewistische Unheil über uns hereinbrach“, schreibt er am Ende seines Buches. „Als kraftloser Greis kehrte ich mit einundachtzig Jahren nach Europa zurück.“ Wer solche Sätze liest, mag sich wundern über so viel Pathos, über das Vokabular einer Epoche, die viele nur aus dem Geschichtsbuch kennen. Julius Wolfenhaut schreibt wie er spricht: geschliffen, ein bisschen altmodisch, druckreife Eleganz, mit leisem Wiener Tonfall, der seine Herkunft aus dem untergegangenen Reich der Habsburger verrät.

Das Deutsch der alten Schule, seine Familie und diese Wut, das sind so ziemlich die einzigen Schätze, die Wolfenhaut in die Gegenwart hat retten können. Sein Vater ist in einem sowjetischen Gulag umgekommen, seine Mutter in der sibirischen Verbannung verhungert. Er selbst kam knapp mit dem Leben davon, und weil er es jetzt zu Papier gebracht hat, hat er vermintes Gelände betreten. Denn nicht nur in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion macht sich unbeliebt, wer von den Verbrechen der Stalin-Zeit erzählt. Auch in Deutschland gilt es als nicht opportun, den Untaten der Nazis die des Stalinismus gegenüberzustellen.

Julius Wolfenhaut weiß das. Und fühlt sich durch solche Widersprüche eher noch beflügelt. Er hat ja eigentlich immer in diesen Zwischenwelten gelebt, hat sich durch Grenzbereiche bewegt, auch damals, in Czernowitz, wo alles anfing.

Czernowitz, das war mal die Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina und lag bis 1918 am Ostrand des Habsburgerreiches, zwischen Rumänien und der heutigen Ukraine. Wolfenhaut taucht in die Tiefen seines Schreibtischs. Als er wieder hoch kommt, hält er alte Fotos, auf denen wie ein Märchenschloss die Residenz seiner Heimatstadt zu sehen ist. Ein Schmuckstück der osteuropäischen Kulturlandschaft war Czernowitz, die für immer zerstört ist. In Czernowitz lebten Tschechen, Rumänen, Rutenen und viele Juden. „Es lagen in den Caféhäusern ungefähr 160 deutschsprachige Zeitungen, aus Wien und Prag und Lemberg“, erzählt Wolfenhaut. „Das half, die Abgeschiedenheit von Zentraleuropa zu überwinden.“

Der blühende Multikulti-Kosmos hinter den Karpaten hat berühmte Schriftsteller wie Paul Celan hervorgebracht, aber auch dieses aufstrebende, bildungshungrige Bürgertum, zu dem die Wolfenhauts gehörten. Die lebten zwischen Mahagonimöbeln und vielen Büchern, der Vater war galizischer Jude und hatte sich aus ärmlichen Verhältnissen zum Unternehmer hochgearbeitet. In seinem Schuhgeschäft gab es neumodische Dinge, die keiner kannte, sagt Wolfenhaut. Einen Karton für jedes Paar Schuhe etwa und beim Bezahlen einen Kassenbon.

Schwer zu sagen, wann der Antisemitismus aufkeimte, bemerkt hat Wolfenhaut ihn lange nicht. Seine Liebschaften, seine Freunde, das waren alles Juden, und wenn man ihn fragt, warum das so war, stutzt er und überlegt eine Weile. Die meisten kannte er von der Uni, sagt er dann, aus dem tschechischen Brünn, wo er Elektrotechnik studierte und wo Begüterte ihre Kinder hinschickten.

Julius Wolfenhaut hat sich in Fahrt geredet, er rückt näher mit dem Stuhl, sitzt weit vorgebeugt. Er hört nur noch schlecht und sieht nicht mehr viel, aber diesen Film, der vor dem inneren Auge abläuft, den kann er nicht aufhalten. Da sieht er sich wieder als Studenten, beim Dominospielen und beim Bridge. „Ich führte ein liederliches Leben und es gelang mir, die Studienzeit auf acht Jahre auszudehnen.“ 1938 hat er mit Auszeichnung seinen Abschluss gemacht – und nicht geahnt, wie wenig Zeit noch blieb.

Es gibt Momente in diesem Gespräch, da reißt der Erzählfluss plötzlich ab und Julius Wolfenhaut schießen Tränen in die Augen. „Ich habe mich versündigt an meinen teuren Eltern“, sagt er. „Sie waren klüger und besser als ich, sahen das Unglück kommen und wollten nach Südamerika auswandern.“ Der Sohn aber studierte, also blieben sie. Bis die Weltgeschichte in Czernowitz einbrach.

Sie kam im Schatten des Hitler-Stalin-Paktes, in dessen geheimem Zusatzprotokoll 1939 Osteuropa und Polen aufgeteilt wurde. Gegen alle Abmachungen besetzte die Sowjetunion 1940 auch den Norden der Bukowina. Vier Wochen später standen sowjetische Geheimdienstleute im Wohnzimmer der Familie Wolfenhaut und nahmen den Vater mit. Der galt als Kapitalist und Jude war er dazu, eine Familie „gesellschaftsgefährdenden Charakters“ also. So hieß es in den Akten.

Seinen Vater hat Wolfenhaut nie wiedergesehen, und ein Jahr später verlud man auch ihn und seine Mutter mit Tausenden von Juden in einen Viehwaggon. Was dann begann, war eine Reise in die Hölle, ins sibirische Stalinka, wo man Verbannte zum Wettlauf mit dem Tod antreten ließ. Wolfenhaut kämpfte mit Schwerarbeit und Hunger, unfruchtbaren Böden, verkümmerten Kartoffeln und Todesangst. Irgendwie hat er es geschafft, Mensch zu bleiben in dieser Eis- und Gefühlswüste. Aber das Entsetzen steckt ihm bis heute in den Knochen.

Es gibt eine Szene in seinem Buch, die ahnen lässt, wieso er nicht vergessen kann. Sie beschreibt, wie seine Mutter eines Tages verhungert und er zuschauen muss, wie das Leben entweicht: „Über Mutters Hemd krabbelten Scharen von Läusen, die aus ihren Schlupfwinkeln am erkalteten Körper hervorgekrochen waren.“ Dieser Tag, schreibt er, „pocht in meinem Herzen“.

Die Tür geht auf, eine kleine, gebeugte Dame betritt schüchtern den Raum. Augusta Wolfenhaut ist seit 41 Jahren mit Julius Wolfenhaut verheiratet, die beiden haben zwei erwachsene Söhne, mit denen sie 1994 nach Deutschland gezogen sind. Jetzt möchte sie wissen, wie viele Leute sie bekochen soll, doch es wird noch dauern, bis ihr Mann zurückfindet in die Gegenwart.

Julius Wolfenhaut erzählt. Weint. Erzählt weiter. Wie der Mantel, den die Mutter ihm hinterließ, ihm das Leben rettete. Wie er später Lehrer wurde, ein leidenschaftlicher, für jugendliche Straftäter. Wie er im sibirischen Tomsk Deutsch unterrichtete und man ihn 1993 rehabilitierte – und mit 28 Euro für seinen verlorenen Besitz entschädigte. Er lacht, ihm hat das sowieso nichts bedeutet. Er ist in Russland ein Fremder geblieben, einer mit dem Mal des Verbannten auf der Stirn, der innerlich längst ausgewandert war.

Nun gehört es zu den Widersprüchen seiner Biografie, dass diese stalinistische Deportation Julius Wolfenhaut die Eltern genommen hat und oft den Lebensmut, ihn aber auch bewahrt hat vor den Gaskammern der Nazis. Eine Rettung also, trotz aller Qual? Er zögert, schweigt. „Vielleicht eine ungewollte Rettung“, sagt er dann, „der Bluthund Stalin hat das nicht vorausgesehen.“

Es gibt keine Versöhnung in diesem Drama, auch wenn die Ausreise nach Deutschland eine Erlösung für Julius Wolfenhaut war. Immerhin, sagt er, er hat versucht loszulassen, hat sich nun hingesetzt und alles aufgeschrieben. „Ich wollte mir mit diesem Buch den Hass von der Seele schreiben. Aber er ist geblieben.“ Was auch daran liegen mag, dass er in Sibirien keinen gefunden hat, der sich auseinander setzen will mit seinen Erinnerungen.

In Deutschland gibt es eine Stasi-Akten-Behörde, es gab die Nürnberger Prozesse, es gibt bis heute viele unbequeme Fragen. Und in Russland? Ist Stalin, „dieser Megamörder“, ganz gemütlich eines natürlichen Todes gestorben, sagt Wolfenhaut, und seine Erben gehören heute zur Elite des Landes. Ihre Seelenruhe zu stören, aber auch die Gewissheit der Deutschen, dass nichts, aber auch gar nichts an den Holocaust heranreicht, das hat er sich zum Ziel gesetzt.

Als Julius Wolfenhaut zurückkehrt in die Gegenwart, dampfen Pelmeni in den Tellern, es gibt Piroggen und Kamillentee, dann russische Pralinen. Augusta Wolfenhaut fehlt Russland, obwohl auch sie dort eine Verbannte war. Ihr Mann aber sehnt sich keine Sekunde zurück. Heimweh hat man nach Menschen, nicht nach Steinen, und sein Zuhause, sagt er, liegt jetzt endlich wieder in Europa.

"Der Tagesspiegel", 21.11.2005

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/21.11.2005/2187064.asp

 

 

 

 

 

Wut ist nach Perls  eine Spannung, die entsteht, wenn ein starkes Verlangen auf seinem Weg zum Ziel auf ein Hindernis trifft und frustriert wird. 

 

 

"Wut enthält die drei Komponenten der Aggression: Zerstören, Vernichten und Initiative. ... 

Im allgemeinen ist Wut eine Leidenschaft der Sympathie... 

Das Kind ist wütend auf die toten Eltern, weil sie immer noch Teil seines unerfüllten Bedürfnisses sind - es genügt ihm nicht, wenn es weiß, daß sie als Hindernisse nun aus dem Weg geräumt sind. Und das Opfer von Haß und Rache ist ein Stück von einem selbst, wird unbewußt geliebt.

Andererseits ist es die Beimischung des Vernichtungswillen in der Wut, die ein so intensives Schuldgefühl gegen geliebte Objekte erregt, denn wir können es uns nicht leisten zu vernichten, zu nichts zu machen, wessen wir bedürfen, auch nicht, wenn es uns frustriert. So kommt es, dass anhaltende Wut in der Verlangen und Vernichtungswillen vereint sind, dazu führt, dass das Verlangen ganz unterdrückt wird, und dies ist eine häufige Ursache von Impotenz, Inversion usw." 

Frederick S. Perls; Ralph F. Hefferline; Paul Goodman: Gestalttherapie Grundlagen. dtv, 1979, (amerikanische Originalausgabe 1951), S. 135-36

 

 

 

 

Wut lässt sich hinsichtlich seiner Herkunft unterscheiden in:

 

1. Wut, die auf Grund eines aktuellen Konfliktes entsteht. So z.B. wenn jemand von seinem Arbeitgeber aus heiterem Himmel eine Kündigung erhält, die nicht nachvollziehbar erscheint. 

 

2. Wut, die aus einem schwelenden latenten, häufig unbewussten Konflikt herrührt. Diesen Fall trifft man oft bei Paaren oder Gruppen an, die schon länger zusammen sind und in denen Konflikte über die Zeit ungelöst blieben und wo sich inzwischen der Ärger aufsummiert hat, bis das Fass zum Überlaufen kommt und die Wut sichtbar wird. 

 

3. Wut, die auf einen alten ungelösten Konflikt zurückgeht. Geht man in der Lebensgeschichte des Wütenden zurück, findet man häufig biografisch bedeutsame Punkte, denen diese Wut zugeordnet werden kann. Die aktuelle Situation des Wütenden spielt hier keine bedeutsame Rolle. Der Kontext in dem sich der betreffende Mensch befindet, kann aber das Fühlbarwerden der Wut dämpfen oder bestärken. So kann eine bestehende Partnerschaft dämpfend wirken, verlässt aber der andere Partner die Beziehung, so kann dies die latente und bisher im Hintergrund "schlummernde" Wut um ein Vielfaches verstärken. Dies geht im Einzelfall bis hin zu Tötungsdelikten gegen den sich trennenden Partner.

 

 

In der Praxis wird es oft so sein, dass sich die verschiedenen Formen von Wut überlagern. Dennoch wird bei dem einen Fall die eine Form überwiegen und beim andern die andere Form. Dementsprechend kann therapeutisch jeweils anders gearbeitet werden.

 

 

Wut lässt sich hinsichtlich ihres zeitlichen Ablaufes unterscheiden in:

1. temporäre Wut

2. chronische Wut

 

Wenn der Maler Bernhard Heisig meint: 

"Wenn ich keine Wut mehr hätte, wäre ich schon tot. Insofern bin ich dankbar über diese Wut, sie erhält mich am Leben."

 

dann liegt hier offenbar eine chronische Wut vor, von der wir nur spekulieren können, woher sie rührt, aus der frühen Mutter-Sohn-Beziehung, der Vater-Sohn-Beziehung oder aus dem Gefühl von den Nazibonzen im 2. Weltkrieg als Frontschwein missbraucht worden zu sein.

 

 

 

Eigene oder fremde Wut macht uns Angst, denn es steht oft viel auf dem Spiel. Ansehen, Gesichtsverlust, Angst vor Verletzung und Verlassenwerden, Zerstörung. Daher die Tendenz, sei es in der Partnerschaft, dem Arbeitsteam oder auch auf der Straße dem Konflikt aus dem Wege zu gehen und den Deckel zu schließen.

Gleichwohl riskieren wir viel mehr, wenn wir versuchen, notwendige Auseinandersetzungen zu vermeiden. Auf der Straße der Großstadt ist eine Konfliktvermeidung oft sinnvoll, weil dort eine ganze Reihe von Zombies herumlaufen, bei denen man besser nicht allein den Deckel lüftet, aus der sich wie weiland aus der Büchse der Pandora das übel ergießt. 

 

In der Partnerschaft oder dem Arbeitsteam schadet uns aber Wut- und Konfliktvermeidung oft mehr als sie nützt. Doch viele Männer und Frauen wissen wenig davon, wie sie mit ihrer Wut in einer aggressiv-konstruktiven Weise, die den Kontakt nicht unterbricht, sondern ihn nutzt, um Entwicklung zu ermöglichen, umgehen können. Schon das Spüren der Wut kann mit unangenehmen oder sogar unerträglichen Gefühlen verbunden sein. Staut sich die Wut auf, kann es bei geringfügigen Anlässen zu Wutausbrüchen und gewalttätigen Handeln kommen. Diese Ausbrüche können sich gegen Familienangehörige, gegen unbeteiligte Menschen, die als Sündenböcke fungieren (z.B. Ausländer) aber auch gegen Symbolfiguren staatlicher Macht und Gewalt, so z.B. Polizisten oder Behördenmitarbeiter/innen richten. Gewalt ist kein typisch männliches Phänomen, sondern wird, wenn auch anders akzentuiert, auch von Frauen ausgeübt

 

Das öffentliche Ausleben von Wut, wie wir es z.B. bei männlichen Skinhead oder Hooligans finden, ist für Frauen auf Grund tradierter Rollenmuster relativ selten anzutreffen. Durch die gesellschaftlich tradierten Rollenbilder agieren Frauen im öffentlichen Raum ihre Wut in eher unauffälligerer, angepasster und indirekter Weise aus. Im häuslichen Bereich ist die Hemmschwelle für Frauen wesentlich niedriger. Im sozialen Nahraum, der Partnerschaft oder der Familie agieren nicht wenige Frauen ihre Wut aus. Dies geht bis zu direkter Gewalt gegen ihre männlichen Partner und die eigenen Kinder. Gerade Kinder dienen Müttern auf Grund ihrer relativen Schutzlosigkeit als Blitzableiter für aufgestaute Wut. Im Scheidungskrieg wird das Ausleben von Wut von Frauen nicht selten ausgiebig zelebriert. Durch den meist vorhandenen direkten Zugriff auf die Kinder und fehlende gesellschaftliche Sanktionierung von Scheidungsgewalt sind Männer hier besonders leicht der Wut ihrer ehemaligen Partnerin ausgesetzt.

 

Menschen mit Helfersyndrom sind Menschen, die von einer beunruhigenden Wut begleitet werden (E. Polster/ M. Polster). 

Aufgabe in allen Fällen verdrängter oder nur mühsam im Zaum gehaltener Wut, könnte es sein, sich der Wut bewußt zu werden und ihr einen nicht gewalttätigen, konstruktiven Ausdruck zu verschaffen und somit die Wut in Erfüllung und Befreiung zu verwandeln.

 

 

Wut ist ein wichtiges individuelles, aber auch ein brisantes politisches Thema, denn viele gesellschaftlich relevante Probleme rühren auch aus individuell und kollektiv ungelöster oder verdrängter Wut her. Wut kann einen betreffen, sei es dass man selber wütend ist oder als Zielscheibe für die Wut anderer dient. Wut kann eine mächtige und nützliche Energie sein, sie wirkt destruktiv, wenn die hinter ihr stehenden wichtigen menschlichen Bedürfnisse keinen Raum und konstruktive Gestaltungsmöglichkeit finden, sondern nur gestauter Hass und Rachebedürfnis Geltung finden. Verdrängte und destruktiv gewendete Wut vergiftet unsere Beziehungen und das gesellschaftliche Leben.

 

 

"In der rotglühenden Wut ist das Gewahrsein etwas verschwommen. In der weißglühenden Raserei ist es oft sehr scharf, wenn es sich, bei Erstickung aller körperlichen Lust, doch von den lebhaften Bildern der verzögerten Befriedigung speist, während das Selbst sich seinem Objekt zuwendet, um es zu vernichten. Im purpurroten oder gestauten Rasen zerbirst das Selbst vor frustrierten Impulsen und verwischt sich ganz. Im schwarzen Zorn oder Haß hat das Selbst begonnen, sich im Interesse seiner Angriffsabsicht selbst zu zerstören; es sieht nicht mehr die Realität, sondern nur noch die eigene Idee."

 

"Der kaltblütige Mörder wiederum versucht systematisch, seine Umwelt zu vernichten, was gleichbedeutend ist mit Selbstmord. ´Was liegt mir an euch?´ bedeutet soviel wie ´Was liegt mir an mir?´, und dies ist eine Identifizierung mit dem furchtbaren Urteil ´Uns liegt nichts an dir´. "

Frederick S. Perls; Ralph F. Hefferline; Paul Goodman: Gestalttherapie Grundlagen. dtv, 1979, (amerikanische Originalausgabe 1951), S. 136/137

 

 

 

 

Der Umgang mit Wut scheint deshalb so schwer, weil die wütende Attacke aber auch die verhaltene Wut für die anderen schwer oder nicht aushaltbar erscheint. Dadurch kommt es sehr schnell dazu, dass der Wütende individuell und kollektiv geächtet wird. Dies wiederum löst beim Wütenden Angst vor Isolierung aus und er versucht daher, seine Wut zu beherrschen. 

 

Natürlich haben auch Frauen Wut. Das öffentliche Ausleben von Wut, wie wir es z.B. bei männlichen Skinhead oder Hooligans finden, ist für Frauen auf Grund tradierter Rollenmuster relativ selten anzutreffen. Durch die gesellschaftlich tradierten Rollenbilder agieren Frauen im öffentlichen Raum ihre Wut in eher unauffälligerer, angepasster und indirekter Weise aus. Im häuslichen Bereich ist die Hemmschwelle für Frauen wesentlich niedriger. Im sozialen Nahraum, der Partnerschaft oder der Familie agieren nicht wenige Frauen ihre Wut aus. Dies geht bis zu direkter Gewalt gegen ihre männlichen Partner und die eigenen Kinder. Gerade Kinder dienen Müttern auf Grund ihrer relativen Schutzlosigkeit als Blitzableiter für aufgestaute Wut. Im Scheidungskrieg wird das Ausleben von Wut von Frauen nicht selten genüsslich zelebriert. Durch den meist vorhandenen direkten Zugriff auf die Kinder, fehlende gesellschaftliche Sanktionierung von Scheidungsgewalt und staatliche Diskriminierungen von Vätern sind Männer hier besonders leicht der Wut ihrer ehemaligen Partnerin ausgesetzt.

 

Wut lässt sich körperlich besonders gut im Bauch spüren, die Redewendung "Ich habe ein Wut im Bauch" dürfte daher rühren. Bluthochdruck (Hypertonie)  dürfte häufig ein Ausdruck von Wut sein. Manchen Männern sieht man an einer dauerhaft rötlichen Gesichtsfarbe die offenbar unterdrückte Wut an. Umgekehrt heißt das nicht, dass Männer mit niedrigen Blutdruck keine Wut hätten, diese haben vielmehr ihre Wutimpulse so stark gegen sich selbst gerichtet (retroflektiert), dass der Kreislauf in der Form der Hypotonie reagiert. 

Unterdrückte Wut führt zu verschiedenen psychosomatischen Symptomen. Im Herzinfarkt richtet sich die eigene Wut schließlich gegen sich selbst.

Zorn zeigt sich auch in der bekannten Zornesröte. Diese wird meist im Gesicht sichtbar, kann sich aber auch an anderen, üblicherweise von Kleidung bedeckten Hautstellen zeigen.

 

Messen Sie Ihren Blutdruck einmal zu verschiedenen Gelegenheiten und sie können wahrscheinlich sehen, wie abhängig ihr Blutdruck von der aktuellen Situation ist, in der sie sich befinden. 

 

 

 

 

Literatur: 

Harriet G. Lerner: "Wohin mit meiner Wut? Neue Beziehungsmuster für Frauen"; Fischer Taschenbuch Verlag, 1990

Frederick S. Perls; Ralph F. Hefferline; Paul Goodman: Gestalttherapie Grundlagen. dtv, 1979, (amerikanische Originalausgabe 1951)

Carol Tavris: "Wut. Das mißverstandene Gefühl", dtv 1995, ISBN 3-423-35085-7

 

 

 

 

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-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: ... 

Gesendet: Montag, 2. Januar 2006 13:36

An: info@maennerberatung.de

Cc: ... 

: aggressionen bei alkoholkonsum

 

olá,

ich weiß gar nicht, ob ich bei ihnen richtig bin, aber vielleicht können sie mir weiterhelfen...

ich bin 36 jahre alt und lebe mit meiner freundin und ... in ... zusammen...

seit sicherlich 16 jahren habe ich immer mal wieder das problem, daß sich bei übermäßigem alkoholkonsum wut in richtung meiner partnerin oder gegenständen entlädt... dies äußert sich zum glück nicht so, daß ich jemanden verprügele, doch ich werde laut, handgreiflich und auch die eine oder andere ohrfeige hat es bereits gegeben... bisher kam dies in sehr unregelmäßigen abständen 4-5 mal im jahr vor.

und das auch nur in privater athmosphäre...

am 251205 passierte ein solcher ausbruch erstmals in der öffentlichkeit... eine ohrfeige ohne jeglichen grund in einer kneipe... wie fast immer, habe ich kaum erinnerung an diese situation und es war schnaps im spiel!!!

dennoch steht meine freundin voll hinter mir und wir möchten gemeinsam herausfinden, wo diese wut herkommt und wie ich gegen das problem etwas tun können, damit es nicht irgendwann zu noch schlimmeren eskalationen kommt...

was kann ich tun...??? können sie mir helfen...???

greetz

...

 

 

 

 

Hallo Herr .... ,

Sie können sich sicher mit fachkundiger Begleitung zu diesem Thema auseinandersetzen. Eine Paarberatung fände ich sinnvoll. Wenn Sie möchten auch gerne bei mir.

 

Gruß Peter Thiel

 

 

 


 

 

 

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: 

Gesendet: Samstag, 11. Juni 2005 21:26

An: info@maennerberatung.de

Betreff: Wut

 

 

Hallo,

mir ist schlecht und habe das Gefühl vor Druck zu platzen. Ich habe Wut und Aggressionen in mir und weiß nicht wohin damit. Diese Gefühle richten sich auf Menschen im Umwelt meiner Freundin; gegen Ihren drogenabhängigen Ex-Mann der sie immer wieder belästigt; gegen einen gewaltbereiten Ausländer der sie bedroht, weil meine Freundin ihn wegen mehrfacher Vergewaltigung an Ihrer Arbeitskollegin vorübergehend in den Knast gebracht hat, der aber wieder auf freien Fuß ist; gegen eben diese Arbeitskollegin die nicht gegen Ihren Peiniger ausgesagt hat, wegen der meine Freundin Ihre Arbeit verloren hat, gegen Ihren ehemaligen Chef der sie aus Feigheit entlassen hat, gegen eine zweite ehemaligen Arbeitskollegin die Lügen über meine Freundin erzählt hat; gegen die Mutter meiner Freundin die Ihr Kind im Alter von 4 Jahren verlassen hat und sich bis heute nicht kümmert, gegen die "böse" Stiefmutter die meiner Freundin Ihre Kindheit geraubt hat; gegen den Vater meiner Freundin der ein Schwächling ist...

Ich weiß nicht mehr wohin mit meinem innerlichen Druck! Können Sie mir sagen an wen ich mich wenden kann, um diese angestaute Wut "mal ablassen zu können"?

Ich wäre Ihnen sehr dankbar !

 

 

 

 

 

Hallo ... ,

erst einmal fällt mir auf, dass Sie Ihre Wut nur über Ihre Freundin definieren. Haben Sie auch Wut auf jemanden, der mit Ihrer Freundin gar nichts zu tun hat? Wenn nicht, so sieht es mir eher so aus als ob Sie und Ihre Freundin eine unausgesprochene Absprache haben, nach der Sie stellvertretend für Ihre Freundin deren Wut übernehmen. Wenn dem so sein sollte, dann können sie sich sagen, dass das nicht Ihre Wut ist, die Sie da haben, sondern die Wut Ihrer Freundin die sie bisher bereitwillig übernommen haben.

Vielleicht haben Sie das so in Ihrer Herkunftsfamilie gelernt, als Sohn, die Wut Ihrer Mutter zu übernehmen, gegen den Vater oder gegen andere "Feinde".

Wenn Sie mehr über sich und Ihre oder die Wut anderer Ihnen wichtiger Menschen erfahren möchten und die Idee haben, die Wut ein Stück weit abzugeben, dann können Sie vielleicht einen systemischen Familientherapeuten aufsuchen, der Ihnen bei diesem Weg Unterstützung geben kann.

 

Adressen finden Sie z.B. unter www.dgsf.org

 

 

Beste Grüße

 

 

Peter Thiel

 

 

 


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